Weltkulturerbe

Waldviertler Karpfenteichwirtschaft ist landwirtschaftliches Weltkulturerbe

Die Waldviertler Karpfenteichwirtschaft ist offiziell als landwirtschaftliches Kulturerbe von globaler Bedeutung (engl. Abkürzung = GIAHS) anerkannt. Die Welternährungsorganisation (FAO)​​​​​​​ würdigt damit das nachhaltige Produktionssystem, das seit Jahrhunderten existiert. Der Niederösterreichische Teichwirteverband hat mehrere Jahre lang intensiv am Einreichungsprozess gearbeitet. Aktuell ist es das nördlichste der rund 90 GIAHS-Elemente weltweit und das einzige in Niederösterreich.

 

Was ist GIAHS? Vorbild ohne Glassturzdenken

Das Globally Important Agricultural Heritage Systems (GIAHS) Programm der FAO existiert seit 2002. Es zeichnet weltweit herausragende, nachhaltige und kulturell wertvolle Agrarsysteme aus. Um diese Anerkennung zu erhalten, müssen umfassende Kriterien erfüllt werden, die von einem internationalen Expertengremium geprüft werden, inklusive einer Vor-Ort-Besichtigung. Die Aufnahme in dieses Programm ist eine der höchsten Auszeichnungen, die ein landwirtschaftliches System erhalten kann. Es zeigt, dass die traditionelle Waldviertler Karpfenteichwirtschaft aktuelle Herausforderungen unserer Zeit durch lokale Antworten erfolgreich bewältigt und auf internationaler Ebene nun als Vorbild für andere Regionen und Länder angesehen wird. Beim GIAHS-Programm geht es nicht nur um die Erhaltung oder Bewahrung eines Systems nach dem „Status-quo“, sondern vielmehr um die dynamische Weiterentwicklung, welche ein „mit der Zeit gehen“ unterstützt und als notwendig erachtet. Ein Aktionsplan definiert Maßnahmen zur positiven Weiterentwicklung des Gesamtsystems.

Die fünf zu beurteilenden Kriterien

1. Dient der Lebensmittel- und Existenzsicherung

Der Karpfen ist der Held im Teich Die Waldviertler Karpfenteichwirtschaft produziert mit dem Waldviertler Karpfen ein qualitativ hochwertiges Lebensmittel und sichert die Existenz regionaler Teichwirtinnen und Teichwirte. Aufgrund der klimatischen Bedingungen und der nachhaltigen, extensiven Bewirtschaftung benötigt der Karpfen drei bis vier Jahre, um heranzuwachsen. Das Ergebnis ist ein fettarmer, bekömmlicher Fisch, der als gesunde und regionale Alternative zu Meeresfisch empfohlen wird. Das leicht verdauliche Karpfenfleisch stellt eine für den menschlichen Körper wertvolle Proteinquelle dar und besticht durch wertvolle essentielle Fettsäuren. Rund 400 Tonnen Speisekarpfen werden landesweit in Niederösterreichs Teichen erzeugt. Der Karpfen trübt durch seine Wühltätigkeit am Teichgrund das flache Teichwasser ein und schützt den Teich dadurch vor Verlandung. Nur der gewinnbringende Karpfenabsatz sichert das Fortbestehen dieser Strukturen für die Zukunft indem die Teichbewirtschaftung fortgeführt wird. Im Lichte des äußerst niedrigen Selbstversorgungsgrads Österreichs bei Fisch mit 7% ist der Beitrag zur Lebensmittelsicherheit noch stärker zu betonen.

2. Fördert die Agro-Biodiversität – „Teiche leisten mehr“

Die Waldviertler Teichlandschaft ist Lebensraum vieler seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten. Diese vom Menschen geschaffenen Wasserflächen beeinflussen das regionale Mikroklima positiv und tragen zum Wasserkreislauf bei. Als Ersatzfeuchtlebensräume in einer Kulturlandschaft steigern sie die Biodiversität und haben eine bedeutende ökologische Funktion. Viele Teiche unterliegen den höchsten Schutzkategorien per Landesrecht und sind z.B. Teil des Europaschutzgebiets, Naturdenkmal oder Naturschutzgebiet. Die Teiche halten wertvolles Oberflächenwasser in der Landschaft zurück und können Hochwasserspitzen durch ihre Pufferwirkung im Einzugsgebiet abmildern.

3. Erhält lokales und traditionelles Wissen – „Handwerk mit Tradition“

​​​​​​​Das Wissen über die Karpfenteichwirtschaft wird seit Jahrhunderten weitergegeben. Jeder Teich ist einzigartig und seine Bewirtschaftung erfordert viel Erfahrung. Viele Bewirtschaftungsschritte sind bei dem mehrjährigen Produktionszyklus notwendig, um die Karpfen vom Ei weg bis zum Speisefisch heranzuziehen. Die handwerkliche Tradition des Abfischens ist essenziell für den Fortbestand dieses Systems. Gleichzeitig sorgt die Kreativität der Produzenten für eine vielfältige Produktpalette und moderne Vermarktungsmöglichkeiten. Viele Ausrüstungsgegenstände, wie spezielle Netze oder Sortierbretter sowie technische Bauwerke in Zusammenhang mit der Teichwirtschaft, haben sich herausgebildet und tragen teilweise eigene Namen, z.B. das Teichablassbauwerk, der „Mönch“.

4. Basiert auf traditionellen sozialen Strukturen – „Wie die Landschaft so der Fisch“

Der Waldviertler Karpfen ist ein traditionelles Weihnachtsgericht und eine durch das Patentamt geschützte Wort-Bild-Marke. Er gehört zu den Leitprodukten der Region und hat eine identitätsstiftende Rolle. Das Abfischen der Teiche im Herbst als besondere Form des Erntedankes ist ein gesellschaftliches Ereignis, das die Gemeinschaft stärkt. Ursprünglich in Zusammenhang mit den Fastengeboten des christlichen Glaubens stehend, ist der Karpfen im Waldviertel vielfach nach wie vor das klassische Weihnachtsgericht und hatte schon vor Jahrhunderten seinen Preis, gelangte er doch auf die Tische der Herrscherhöfe Österreichs.

5. Zeigt typische Landschaftsstrukturen – „Waldviertel = Teichviertel“

Mit über 2.000 Teichen prägt die Karpfenteichwirtschaft die Landschaft des Waldviertels. Diese Teiche bestehen teilweise seit über 900 Jahren und sind das Ergebnis der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt. „Wo der Wald König ist und die Teiche seine Diamanten“, so lautet der Werbespruch über die Waldviertler Karpfen. Gemeint ist die Multifunktionalität der Teiche durch ihre vielfältigen Ökosystemleistungen. Teiche sind daher Anziehungspunkt und Motor für die regionale Bevölkerung, sei es als Naherholungsort oder Arbeitsstätte. Sie haben sich als widerstandsfähiges landwirtschaftliches System bewährt und sind ein unverzichtbarer Bestandteil der Region, insbesondere auch für den nachhaltigen Tourismus. Diese von Menschenhand errichtete Wasserlandschaft braucht zwingend den Menschen und die Bewirtschaftung für den Erhalt. Wird die Bewirtschaftung der Teiche aufgegeben, so verlanden sie in kurzer Zeit und verschwinden damit innerhalb weniger Jahre aus der Landschaft.

Die Berichterstattung erfolgt über den Österreichischen Verband für Fischereiwirtschaft und Aquakultur (ÖVFA) im Rahmen des Projektes ACFA (Austria Communicates Fisheries and Aquaculture):

(c) https://www.teichwirteverband-noe.at/weltkulturerbe